People Analytics können helfen, die Führungskräfte von morgen zu halten
Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung funktionieren am besten, wenn Unternehmen Abwanderungstendenzen früh genug erkennen können, um gezielt gegenzusteuern.
Die Mitarbeiterfluktuation in Deutschland ist so hoch wie selten zuvor: Laut einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens Lünendonk haben 5,2 Millionen Angestellte letztes Jahr ihren Arbeitgeber verlassen. Weitere 6,3 Millionen haben sich aktiv nach einem neuen Job umgesehen. Zusammen sind das rund ein Drittel der sozialversicherungspflichtig Erwerbstätigen in Deutschland.
Das Hauptmotiv: Mehr als die Hälfte der Berufstätigen (55,6 Prozent) strebt beim Jobwechsel eine Führungsposition an. Dabei ist den Wechselwilligen mehr Gestaltungsraum im neuen Job fast ebenso wichtig wie ein höheres Gehalt.
Der Wunsch nach Aufstiegsmöglichkeiten und einem höheren Gehalt wird auch in der Studie von Visier zu den sogenannten Bumerang-Mitarbeitern bestätigt: Ehemalige Mitarbeiter:innen werden mit höheren Gehältern und Führungspositionen von ihren früheren Arbeitgebern zurück gelockt, da letztere verzweifelt versuchen, hochqualifizierte Stellen zu besetzen.
Angesichts des grassierenden Fachkräftemangels, den zwei Millionen offenen Stellen und den 400.000 Erwerbstätigen, die jedes Jahr in den Ruhestand gehen werden (darunter viele Hochqualifizierte), wird die Bindung von qualifizierten Mitarbeiter:innen weiterhin höchste Priorität für Personalabteilungen haben.
Ein gezielter Ansatz
Es gibt sehr wohl Wege, die Mitarbeiterfluktuation wirksam zu bekämpfen. Allerdings müssen die hierfür geeigneten Maßnahmen frühzeitig angewendet werden – bevor das Ausscheiden einer Mitarbeiter:in einen Dominoeffekt auslöst. Denn laut einer Untersuchung von Visier ist die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer freiwilligen Kündigung innerhalb der nächsten 135 Tage weitere Mitglieder eines betroffenen Teams gehen, um 9,1 Prozent höher.
Die Erfahrung zeigt, dass allgemeine Strategien und Regelwerke auf Unternehmensebene zur Bekämpfung der Mitarbeiterfluktuation zwar helfen, aber nur ein Teil der Lösung sind. Die wirksamsten Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung sind die, die individuell ausgerichtet sind oder auf Abteilungsebene greifen.
Der Schlüssel zu einem gezielten Ansatz bei der Mitarbeiterbindung ist die Analyse mitarbeiterbezogener Daten, eine Disziplin bekannt unter dem Namen People Analytics. Sie bietet ein ganzes Instrumentarium an Auswertungen und Analysen, die helfen, wechselwillige Mitarbeiter datenbasiert zu identifizieren, ihre Motive zu ermitteln und auf feinfühlige Weise wirksam entgegenzusteuern. Als Datenbasis dienen Informationen wie die Tätigkeit und Position der Mitarbeiter, Zeitpunkt der letzten Beförderung, Vergleich des Gehalts mit marktüblichen Gehältern, Leistungsbewertungen, Fortbildungen und vieles mehr. Zum Beispiel können Manager:innen aufgrund dieser Daten mit gefährdeten Mitarbeitern:innen von Zeit zu Zeit sogenannte “stay interviews” oder offene Mitarbeitergespräche führen, bei denen bestimmte Eckdaten und Lösungsmöglichkeiten angesprochen werden.
Durch fundierte Analysen dieser und anderer Parameter, am besten in Korrelation mit Business-Daten, sind Unternehmen und Manager:innen besser in der Lage, Maßnahmen wie Beförderungen, Fortbildungen, Gehaltserhöhungen oder interne Wechsel zu steuern und individuell anzubieten, und somit den kündigungsgefährdeten Mitarbeitern:innen entgegenzukommen.
Hand in Hand mit dem mittleren Management
People Analytics haben beispielsweise dem US-Traditionsunternehmen Pitney Bowes geholfen, die Fluktuation unter den Lkw-Fahrern um 10 Prozent zu senken. Als diese während eines landesweiten Fahrermangels kontinuierlich anstieg, machte die Personalabteilung der Geschäftsleitung klar, dass eine Verringerung der Fluktuation um nur ein paar Prozentpunkte dem Unternehmen Millionen Dollar einsparen würde – was auch tatsächlich erreicht wurde.
Auch die kanadische Bank First West Credit Union nutzt seit mittlerweile zwölf Jahren People Analytics, um die Mitarbeiterfluktuation gezielt zu bekämpfen. Während dieser Zeit fusionierte die Bank mit anderen Regionalbanken in British Columbia und akquirierte kleinere Institute – Situationen, in denen häufig Mitarbeiter:innen in Scharen das Unternehmen verlassen.
Durch People Analytics war die Bank in der Lage, Kündigungstendenzen über verschiedene Regionen, Niederlassungen und Fachbereiche hinweg früh zu erkennen und mit gezielten Maßnahmen gegenzusteuern. Dadurch konnte sie organisatorisch bedingte Kündigungen um 3,1 Prozent und die Fluktuation von Führungskräften um 13,6 Prozent reduzieren. Heute ist die Mitarbeiterbindung bei First West eine Aufgabe, derer sich die zentrale HR in enger Abstimmung mit dem mittleren Management vor Ort annimmt.
Die Nutzung von Daten und People Analytics sind Schlüsselkomponenten der Business-Transformation. Deren Anwendung versetzt HR-Abteilungen in die Lage zu wissen, statt zu vermuten, wo genau die Probleme liegen, und die Wirksamkeit ihrer Arbeit nachzuvollziehen.